»Wohin wir auch gehen – das Zwiegespräch mit uns selbst geht mit«
Interview mit Oren Lazovski

 

Im Alter von 16 – da lagen schon einige gute Jahre als Akkordeonist und Tänzer hinter ihm – hat Oren Lazovski gespürt, dass er sich zwischen einer der beiden Karrieren entscheiden muss. Er entschied sich für den Tanz, verstand aber Jahre später, dass es noch einen dritten Weg gibt. So entwickelte Lazovski eine Methode, die auf der Idee des ›integrierten Instruments‹ basiert und das Musikinstrument als Teil oder direkte Fortsetzung des menschlichen Körpers begreift. Die Performance NO-MAD, die auf dem ID Festival Premiere feiert, bringt sie auf die Bühne. »Tanz und Musik sind für mich wie ein Zauberwürfel. Zwei unterschiedliche Ausdruckswege, die uns am Ende an denselben Ort führen, indem sie die tiefsten, die dunkelsten und die fröhlichsten Punkte berühren«, erklärt Lazovski.

Die Idee zu der Performance entstand 2014 während eines Besuchs in Montreal. »Zufällig war mein erster Gastgeber beim Couch-Surfing ein deutscher Akkordeonspieler. Außerdem sah ich, dass die Stadt Montreal Musiker dazu animiert, in Metrostationen und an Straßenecken zu spielen – ohne jeglichen bürokratischen Aufwand. Ich hatte das schon im Kopf, aber in Israel oder Deutschland habe ich es mich nie getraut, weil das Musizieren auf der Straße da sozusagen ehrenrührig ist. Aber wenn du dich am anderen Ende der Welt befindest, ist das eine gute Gelegenheit, Dinge zu tun, die du zuhause nicht tun würdest. Also habe ich mir von meinem Gastgeber das Akkordeon ausgeliehen und zwei Stunden in einer nahegelegenen Metrostation gespielt.

Oren Lazovski © Sven Dryja

Oren Lazovski © Sven Dryja

 

Es war eine wundervolle Erfahrung: Leute lächeln dich an, die Kommunikation ist so direkt. Auch bin ich in Israel mit dem Gefühl aufgewachsen, das Akkordeon sei ein altmodisches Instrument, und dort erlebte ich, wie stark es die Leute anspricht. Das brachte mich dazu, über das Nomadenhafte meines Lebens nachzudenken. Als Künstler bist du zwangsweise ein wenig Nomade. Ich habe an so vielen Orten gelebt – in Deutschland, Holland, Belgien, der Türkei und auf Zypern… Aber Montreal hat im Hinblick auf meine Neigung zum Nomadentum etwas geklärt.«

Der nächste Schritt war ein Konzept für die Zusammenarbeit mit einem Videokünstler, der durch die Montrealer Metrostationen ziehen sollte. Aber wie so oft mussten die ersten Gedanken auch hier noch einige Metamorphosen durchlaufen, bis sie schließlich in Berlin konkrete Form annahmen, als Exklusivproduktion für das ID Festival.

Sein Partner hierbei ist der Posaunist Tomer Maschkowski, der wie die an Lazovskis Workshops beteiligten Musiker keinen tänzerischen Hintergrund hat.

»Wir sind sehr verschieden, und ich fing an, mir über ungleiche Paare Gedanken zu machen. Ich habe viele Dick-und-Doof-Filme gesehen, ganze Nächte mit assoziativer Recherche verbracht und am Ende Nietzsches Aphorismensammlung Der Wanderer und sein Schatten von 1880 gefunden. Das Buch handelt von einem Wanderer, der seines Weges geht, als sich ihm plötzlich sein Schatten zuwendet und mit ihm zu reden beginnt. Diese Idee hat mich ganz verzaubert. Wir alle schleppen eine persönliche Geschichte mit uns herum, das ist der Schatten, der uns begleitet, und ganz gleich, wohin wir gehen – das Zwiegespräch mit uns selbst geht mit. Einerseits beginnst du ein neues Kapitel, aber andererseits bringt dich die Distanz dazu, Dinge anders zu sehen, und die Introspektion geht immer tiefer.«

Aus dem englischen Wort ›nomad‹ (Nomade) hat Lazovski mittels eines Strichs zwei Wörter gemacht: NO-MAD. »Die Entscheidung für das Nomadentum wirkt manchmal verrückt, du machst dich auf den Weg, ohne zu wissen wohin. Aber auch wir Nomaden haben unseren inneren Kompass, er leitet uns sogar, wenn wir ihn manchmal nicht sehen.«

 

Lazovski war klar, dass die Show auch ein Video beinhalten muss, um das Gefühl von Unterwegssein und Nomadismus zu vermitteln. Mithilfe der Künstler Shiran Eliaserov und Johan Planefeldt hat er einen 20-minütigen Film gedreht, der mit Unterbrechungen in die Performance eingeflochten ist. In ihm marschiert Maschkowski mit seiner Posaune durch Berlin, und Lazovski folgt ihm als sein Dämon/Schatten auf dem Fuß.

»In dem Film jage ich Tomer nach, aber auf der Bühne ist das Geschehen surrealistischer und unklarer, wodurch ich verwundbarer werde.«

Zufällig findet die Premiere der Performance (23. Oktober) drei Tage vor dem 10-jährigen Jubiläum seiner Ankunft in Berlin statt.

Ist NO-MAD für dich eine Art Abschiedsparty von deinem Migrationsschatten?

»Ich glaube, selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht von ihm verabschieden. Ich bin Teil einer Gruppe von Leuten, die in einen Staat zurückgekehrt ist, der unsere Vorfahren ausgespuckt hat. Das sagt etwas über uns aus. Nicht nur, dass wir uns nicht von unserem Schatten trennen wollen – wir umarmen ihn sogar.«

Zugleich räumt er ein, dass die Sehnsucht nach der Familie das ihre tut. »Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht manchmal daran denke, nach Israel zurückzukehren. Letztlich ist Berlin ein Provisorium. Wenn ich einen Grund habe, der gut genug ist, gehe ich.«

Und was hält dich in der Zwischenzeit hier?

»Das Provisorische.«

 

Interview: Oren Lazovski (NO-MAD), geführt von Tal Alon (Spitz Magazine Berlin)
Lesen Sie das Interview auf Hebräisch auf spitzmag.de

 

NO-MAD
Sonntag 23. Oktober 2016, 16:00 — 17:00, Saal
Performance
Dauer: 60 Minuten

Tickets: 14/10 EUR

Konzept/Choreografie/Drehbuch: Oren Lazovski
Performance/Posaune: Tomer Maschkowski
Die Filme wurden produziert von Holytropic
Kamera: Johan Planefeldt
Schnitt & künstlerische Beratung: Shiran Eliaserov
Kostüm: Silvie Naunheim
Musik: Wagner, Brahms, Bach