»Plötzlich wurde mir klar:
Die jemenitischen Lieder meiner Großmutter sind… Barock!«

Interview mit Tehila Nini Goldstein

 

Der doppelte Familienname der Sängerin Tehila Nini Goldstein geht nicht auf ihre Heirat, sondern auf ihre Eltern zurück: Nini ist der Familienname der Mutter, deren Vater 1927 als Kleinkind von zweieinhalb Jahren mit einer Eselkarawane nach Palästina gelangte; Goldstein ist der Familienname des Vaters, einem amerikanischen Juden osteuropäischer Abstammung. Wenn man dem noch die Wanderschaft hinzufügt, die sie selbst mit ihren 35 Jahren bereits hinter sich hat, erhellt sich ein wenig der Hintergrund des Konzerts Barock aus Jemen, das sie mit ihrem Ensemble Sferraina auf dem ID Festival geben wird.

Nini Goldstein wurde in New York geboren, hat aber die meiste Zeit ihrer Kindheit in Tzur Hadassah unweit von Jerusalem gelebt. Seit sie sich erinnern kann, hat das Singen zum Leben ihrer Familie dazugehört: »Bei jedem Treffen haben wir uns hingesetzt und gemeinsam gesungen. Meine Großmutter, eine winzige Frau von 94 Jahren, die bis heute stolz über die Familie herrscht, hat immer alles im Singen getan. Ob beim Geschirrspülen oder bei der Beerdigung meines Großvaters, sie hat immer gesungen.«

Ein weiterer wichtiger Einfluss war der ihrer berühmten Cousine, der Sängerin Achinoam Nini (außerhalb Israels bekannt unter dem Namen Noa). »Sie begann ihre Karriere, als ich ungefähr zehn war, und ich habe jedes ihrer Konzerte, das ich konnte, besucht. Ihre Aufrichtigkeit als Künstlerin hat mich immer beeindruckt, die Art, wie sie auf der Bühne steht und eine Geschichte erzählt.«

Tehila Nini Goldstein © Ran Dank

Tehila Nini Goldstein © Ran Dank

Es gab nur ein kleines Problem: Nini Goldsteins große Liebe zum Gesang vertrug sich nicht mit ihrer großen Schüchternheit.

»Ich war wirklich scheu, aber ich habe es so geliebt, dass mir nichts anderes übrigblieb, als zu singen.«

Gerade der Wehrdienst hat ihr dabei geholfen, ihre Schüchternheit loszuwerden.

»Plötzlich hat man mich zur Kommandantin von Soldaten gemacht und mir blieb keine andere Wahl. Ich fand meine Stimme, die Einflusskraft meines Wortes. Das gab mir die Sicherheit, zu sagen, was ich sagen will und wie ich es sagen will, und da verstand ich, dass ich einfach Musik machen muss.«

Nach dem Wehrdienst studierte sie auf der Musikakademie in Tel Aviv, aber gerade, als ihre Karriere als Opernsängerin in Israel begann, fühlte sie, dass sie das Land verlassen muss: »In Israel erkennt man, dass du Potenzial hast, und packt dich, aber ich hatte das Gefühl, dass ich noch viel mehr lernen muss.«

Sie kehrte in ihre Geburtsstadt New York zurück und nahm dort Unterricht bei der bekannten Lehrerin Trish McCaffey.

»Sie ist grausam und fürchterlich, aber sie war der erste Mensch, der nicht zu mir sagte: ›Was für eine schöne Stimme du hast, wie musikalisch du bist, was für ein Potenzial‹…. Stattdessen sagte sie mir: ›Du klingst scheiße, das Gesicht, das du gerade ziehst, ist hässlich, und hör auf, diesen schrecklichen Lärm zu machen.‹ Unheimlich furchteinflößend diese Frau, sie hat etwas in mir kaputtgemacht, aber anscheinend ist das Teil ihrer Methode. Du bist so schockiert, dass du Gewohnheiten abschüttelst und eine neue Lösung suchst, um zu überleben. Und dann, eines Tages, nach zwei Jahren in New York, sagte sie mir: ›Fahr nach Berlin, da herrscht noch Hunger. In New York sind alle zu feist. Komm zurück, wenn du schon eine Karriere hast.‹ Ich stand auf und fuhr. Obwohl ich aus New York komme und dort Familie habe, hatte ich an der Stadt ohnehin keine große Freude gefunden. Das erste, worauf die Leute schauen, ist wieviel Geld du hast, wen du kennst und welche Erfolge du nachweisen kannst.«

Trotz ihrer Entscheidung für das Rampenlicht und trotz ihres Namens (Tehila = Ruhm) passt ihr die Berliner Atmosphäre viel besser:

»Meine Karriere in Berlin kam sehr schnell in Gang, einen Monat nach meiner Ankunft, und bis zur Geburt meines ersten Sohns, vor weniger als einem Jahr, hatte ich einige gesegnete Jahre, wo ich parallel in Europa, den USA und Israel gearbeitet habe. Aber ›Erfolg‹ ist kein Wort, an das ich wirklich glaube. Erfolg ist eine Illusion, eine Idee, die in einer Minute richtig sein kann und in der nächsten dann schon nicht mehr. Ich liebe das Gefühl von Tätigkeit und Befriedigung, das Wissen, das ich Schönes auf der Welt geschaffen und Genuss erzeugt habe. Wenn ich gut singe, wenn ich gesund bin, wenn mein Sohn sich freut, wenn ich bezaubernde Kollegen habe, wenn jemand die Musik hören will, die ich mache… für mich ist Freude Erfolg.«

Meist singt sie auch lieber weniger bekannte Stücke (»statt zehnmal dieselbe Oper zu wiederholen ein unbekanntes Werk entdecken«), weswegen sie mit ihrem österreichischen Ensemble-Kollegen David Bergmüller vergessene Partituren aus dem 17. Jahrhundert zu lesen begann.

»Wir haben einfach Sachen vom Blatt gelesen, und jedes Mal sind wir auf etwas gestoßen, das gut klingt.«

Außer italienischen Stücken, die sie entdeckt haben, und einigen bekannteren Sachen, werden sie auf dem Festival auch Material aus den jemenitischen Quellen von Nini Goldstein spielen.

»Ich habe die wundervollen Lieder von Rabbi Shalom Shabazi entdeckt, einem jemenitisch-jüdischen Dichter aus dem 17. Jahrhundert, und plötzlich verstanden: Ich arbeite die ganze Zeit mit Material aus dem 17. Jahrhundert, und eigentlich stammen auch die Lieder, die mir meine Großmutter vorgesungen hat, aus dem 17. Jahrhundert, und eigentlich sind sie… Barock! So hatte ich noch nie darüber nachgedacht. Also haben wir uns getroffen und gearbeitet, um zu verstehen, welche überzeugenden gemeinsamen Nenner sich finden lassen. Es ist mir wichtig, nicht irgendeinem Fusion-Klischee aufzusitzen.«

 

Interview: Tehila Nini Goldstein (Sferraina), geführt von Tal Alon (Spitz Magazine Berlin)
Lesen Sie das Interview auf Hebräisch auf spitzmag.de

Barock aus Jemen
Samstag 22. Oktober 2016, 14:30 — 15:30, Saal
Musik
Dauer: 60 Minuten

Gesang: Tehila Nini Goldstein
Percussion: Tobias Steinberger
Laute: David Bergmüller

Gäste
Mandoline: Alon Sariel
Violone: Walter Singer

Tickets: 14/10 EUR